Werke von Thomas Bayrle in der Documenta-Halle. Im Zentrum der präsentierten Arbeiten aus unterschiedlichen Schaffensphasen steht die Frage nach der Maschine und ihrem Verhältnis zum Leben. Der Blick fällt zunächst auf das Bild eines 13 Meter messenden Flugzeugs (entstanden 1982/1983), das sich bei näherer Betrachtung als eine Foto-Collage aus tausenden kleiner Bilder von ebensolchen Flugzeugen erweist. Die seriell angeordneten Grundmuster ordnen sich für den Künstler zu einer "Superform". – Eine Erkundung im "System Fliegen".
"Porsche 911, Rosenkranz 2012" nennt Thomas Bayrle eine seiner Installationen in der Dokumenta-Halle, daneben weitere aufgeschnittene, nackt erscheinende Maschinenklassiker, Motoren einer Moto Guzzi, eines Citroën 2CV oder eines VW etwa, die in schöner Regelmäßigkeit nach einer ausgeklügelten Zeittaktung ihr mehr oder weniger sonores Tagewerk verrichten. Ihr brunströhrender Sound vermischt sich hier reibungslos-harmonisch mit religiösen Bittgesängen aus der Konserve, die der arbeitsamen, aber absurd bewegungslosen Mechanik zu entsteigen scheinen, Responsorien einer schlechten Unendlichkeit im Auf und Ab der Gebetskolben. Geschwindigkeit, mit der die Moderne seit jeher Zeit und Raum zu tilgen versucht, ist hier ebenso implodiert wie der Horizont des Sakralen. "Bitte für uns bitte für uns bitte für uns", schickt es der Scheibenwischer eines Mercedes mantrahaft zum Himmel der Hallendecke. Das Herz des "Fort-Schritts" ist der Stillstand und der heilige Singsang verpufft als endlos wiederholte Litanei im Wunderwerk einer fidel arbeitenden Mechanik bis zur nächsten Ölung. Diese betenden Maschinen haben in der ungeschützten Blöße ihres Innenlebens etwas Verletzliches, sie wirken im Gleichklang von Arbeit und Gebet wie entzauberte Säulenheilige des technischen Zeitalters.
"Carmageddon" (das "automobilistische Weltende"): Bayrles monumentales Papprelief ist ein quasi-kybernetisches Modell des drohenden Verkehrsinfarkts in Los Angeles, collagiert aus mehr als 150 seriell angeordneten Modulen, die Autobahnabschnitte in der Form eines liegenden "S" wiederholen. Die scheinbar organische Ordnung offenbart sich als desorientierende Bewegung ohne Anfang und Ende: Auto und Autobahn als Metapher für Mobilität, die zunehmend quantitative und qualitative Fragen aufwirft.
In Gesprächen verweist Bayrle auf den Verlust eines ganzheitlichen Verständnisses für die Bedingungen und Strukturen des modernen Lebens, er bewege sich "an der Grenze, wo sich Massenkonsum und Meditation treffen müssen, um wieder größere Zusammenhänge herzustellen" (Interview mit Michael Hierholzer, FAZ-Online, 5.6.2012). Das ist im Selbstverständnis des Künstlers weder ideologiekritisch zu verstehen, noch in einer versöhnenden Absicht, die zeitkritische Aspekte auszublenden sucht. Seine Arbeiten bleiben vielmehr in der Schwebe zwischen der Faszination für die Phänomene Masse, Konsum, Akkumulation in einer industrialisierten Gesellschaft und einer kritischen Distanz zu diesen. Das trifft auch auf seine seriellen Arbeiten "Flugzeug" und "Carmageddon" zu, die in der hier gebotenen Anordnung jeweils korrespondierende Seitenstücke zu seinen betenden Motoren abgeben.
"Das Innere von Motoren … ähnelt der Großartigkeit von Kathedralen, weil die absolute Effizienz, die in solch einer Maschine herrscht, ebenso großartig ist wie ein gotisches Kirchenschiff", formuliert es Bayrle (ebd.), der sich damit im Sprachgestus nur scheinbar der Worttrunkenheit des Futurismus nähert (Filippo T. Marinetti: "Manifest des Futurismus", Figaro, Paris 1909). War für diesen der avantgardistische Maschinenkult mit seinem euphorisch verkündeten Dynamismus des modernen Lebens vor allem eine ästhetische (später politische) Absage an traditionelle gesellschaftliche Denk- und Lebensmuster, geht Bayrle ganz andere Wege. Sein Blick trifft eher in eine zeitgeschichtliche Tiefe, aus der die Oberflächenphänomene der Gegenwart hervorgehen und so einer kritischen Revision zugeführt werden können.
Dem Verlust eines Bewusstseins für das Ganzheitliche von Arbeits- und Lebenszusammenhängen entspreche ein "Denken in Modulen", das den Kathedralen der Gotik ebenso eingeschrieben sei wie den betenden Motoren. Angeregt durch die Lektüre von Wilhelm Worringers "Abstraktion und Einbildung" (1907) stehen für Bayrle die Bauhütten des Mittelalters mit ihrer Dezentralisierung von Arbeitsabläufen und durch die Verwendung von Fertigteilen am Beginn der modernen arbeitsteiligen Produktionstechnik. Das meditative Gleichmaß von Maschinenarbeit und Gebet in der Dokumentahalle gibt den ironischen Kontrapunkt zu dem klösterlichen Leitspruch des "ora et labora", der einmal für die Einheit von Geist und Materie stand.
Insofern haben Bayrles Motoren auch etwas Beunruhigendes. Einerseits, indem sie auf das trügerische Wunschbild einer Technik verweisen, die das Leben (geradezu mystisch) überhöht, weswegen dem Betrachter diese aufgebockten Wunderwerke wie moderne Reliquien erscheinen. Andererseits weisen sie zurück auf die "Heilsgeschichte" der modernen Arbeitsteilung industrieller Massenproduktion, zu dessen geistigen Urahnen im 19. Jahrhundert Frederick W. Taylor (1856-1915) gehört. Dessen Vorstellungen einer optimierten Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen zur Leistungs- und Gewinnmaximierung (Taylorismus), für die schließlich der Euphemismus "Scientific Management" geprägt wurde, führt direkt auf die Transportbänder der US-Schlachthöfe von Cincinnati (1870) und in die Stätten der fleischverarbeitenden Industrie der Union Stock Yards Chicagos, deren Fließbandtechnik Henry Ford bei seiner Produktion von Automobilen als Vorbild diente.
|
|
Szene aus "Modern Times", Quelle: Wikipedia |
Wie sich dieser "Tanz" mit der Maschinenwelt im Konkreten anfühlt, davon weiß Bayrle selbst aus eigener Erfahrung zu berichten. 1957 habe er in einer Großweberei gearbeitet "in der die Maschinen einen Höllenkrach machten und man nur mit dem Rhythmus dieser Maschinen gehen konnte." Die Arbeitswelt sei, so sein Fazit, auf der unteren Produktionsebene "nur in Trance zu überleben." (ebd.) Aus dieser Perspektive sind die Rhythmen von Technosphäre (Maschine) und Biospähre (Mensch) längst gegeneinander aufgehoben. Bayrles Motoren sind Chiffren für jene technische Rationalität, die zum Herzschrittmacher des Humanen geworden ist, das sich ihrem Anspruch ebenso anverwandelt wie jene christlichen Bittgesänge, die uns nicht ohne Ironie in einer Endlosschleife über Lautsprecher ins Ohr geträufelt werden. Die bloß noch medial vermittelte Anrufung einer "höheren Instanz" verweist nur noch auf sich selbst – im Namen des Fortschritts, eines absurden Gottes, der nicht antwortet. leu
Thomas Bayrle, * 1939, lebt und arbeitet in Frankfurt am Main; dort war er von 1975 bis 2002 Professor an der Städelschule und gehört heute zu den international renommiertesten Künstlern in Deutschland. Im Mittelpunkt seines umfangreichen Werks aus Grafiken, Siebdrucken,Textilien, Tapeten, Objekten und Filmen stehen die Themen Masse, Akkumulation und Konsum. Bayrle zählt zu den ersten deutschen Künstlern, die computergenerierte und animierte Kunst hervor gebracht haben. Das Prinzip der Serialität gehört zu den charakteristischen Gestaltungsmitteln seiner Arbeiten: Aus der additiven Reihung gleicher oder ähnlicher Motive entwickelt er von ihm so genannte "Superformen". Nützliche Lektüre: Wilhelm Worringer, Abstraktion und Einbildung. Ein Beitrag zur Stilpsychologie (1907/8) Siegfried Kracauer, Das Ornament der Masse (1927) Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen (1956) |
Nichts ist komischer als das Unglück
(Samuel Beckett, Das Endspiel)
(Bertolt Brecht, 1929)
Ohne Einladung Und haben Dich gesehen Gestern warst Du noch nicht da Eilet herbei, alle Du Häßlicher Lösche aus unser Ich! |
Du bist nicht gemacht aus Elfenbein und Ebenholz, Du bist kein Unscheinbarer Was ist für Dich (ein) Gras? Darum erhöre uns |